"Es ist an verschiedenen Orten, auch hier, der Brauch, dass Bürger und andere gemeine Leute zur dummen und wütigen Faßnachtzeit auf einen Tag ein Schemenlaufen belieben. Nun, es mag ihnen vergonnt werden, weil die Vornehmen jahraus jahrein alla Maschera laufen und sich betrügen und mit verlogenen Gesichtern, da man nicht weiß, ob nicht hinter einem alten Mutterl in der schimpflichen Barocka ein Teufel oder hinter dem Narrenbart ein grimmiger Herodes steckt. Aber das Schemenlaufen soll nicht ein Schelmenlaufen seyn, ansonst in den Kotter mit euch, ihr Tabacksbrüder und Weinzapfen!"
Mit diesen trefflichen Worten, die von keinem Geringeren als dem berühmten Volksprediger Abraham a Santa Clara, der im Jahre 1683 auf der Reise von Wien in seine schwäbische Heimat auch in Imst Station machte, geäußert wurden, rückt die Fasnacht der Imster als Schemenlaufen in das Licht der Geschichte.
Die Hauptfiguren des Imster Schemenlaufens sind "Roller" und "Scheller", die jeweils ein Paar bilden.
Dem Roller ist eine jugendlich-weibliche Glattlarve mit einem "mitraförmigen" Aufputz, dem "Schein", wie ihn die Imster nennen, zu eigen. Dieser Schein ist an der Vorderseite über und über mit Kunstblumen farbenprächtig besetzt, in seiner Mitte befindet sich ein Spiegel, dem man dämonenabwehrende Wirkung nachsagt. Hinterkopf und Nacken des Rollers werden durch den mit Spitzen reich bestickten Schleier bedeckt. Das namengebende Charakteristikum dieser Maskentype ist das "Gröll", ein Ledergurt, der mit 40 bis 48 runden Rollen (ähnlich denen der Pferdeschlitten) besetzt ist und um die Hüfte getragen wird. Rechts am Gurt hängt ein weißes spitzenbehaftetes Taschentuch, das "Rollertüchl". Das weiße, ebenfalls bestickte Leinenhemd des Rollers mit Halskrause weist an den Ärmeln zickzackaufgenähte Seidenbänder und Rosetten auf. Von der linken Schulter zur rechten Hüfte reicht das schärpenförmige "Ritterband". Die schwarze, bis über die Knie reichende Lederhose, weiße gemusterte Wadenstrümpfe und schwarze Schnallenschuhe runden die Kleidung des Rollers ab. In seiner Rechten hält er den "Rollerpemsl" (Rollerpinsel), einen aus langen, fransenartigen, fein gedrehten Holzspänen gebündelten Wedel.
Sein Widerpart, der Scheller, trägt eine dunkelfarbene, streng dreinblickende, faltendurchzogene Larve mit weitausladendem "barocken" Schnauzbart und einem um vieles größeren Kopfputz, der wiederum mit Glitzerschmuck und Spiegel, außen jedoch zusätzlich mit einem Kranz aus Eibenzweiglein umrahmt ist. Da diese Nadelbaumart hierzulande sehr selten geworden ist, wurden von den Fasnachtlern vor einigen Jahren eigens für die Scheller zwei kleine Eibenhaine gepflanzt, die sehr gut gedeihen. Der Schleier des Schellers findet im fransenbestückten "Schallertuach" (Schellertuch), das an ein Tischtuch in einer Imster Bauernstube erinnert, sein Gegenstück. Es deckt, zu einem Dreieck gefaltet und über den Kopf gelegt, Schulterpartien und Rücken des Maskierten zur Gänze. Seine Lenden sind mit dem bis zu 38 kg schweren "Gschall", vier bis zehn großen handgeschmiedeten Kuhschellen, die an einem breiten Lederriemen je zur Hälfte vorne und hinten angebracht sind, umgürtet. Man unterscheidet bei den Schellen die größeren ovalen "Kumpfen", von welchen der Scheller vier bis sechs trägt, und die rechteckigen "Klöpfen", die zu acht oder zehn Stück am Gurt hängen. Der Rest der Maskierung unterscheidet sich nur unwesentlich von der des Rollers: Das Ritterband fehlt ebenso wie das Tüchl unter dem Schellengurt; das weiße Leinenhemd ohne Halskrause wird mit Krawatte, die schwarze Wildlederhose mit grünen Hosenträgern getragen. Anstelle des Pemsls hält der Scheller seinen mächtigen "Schallerstecke" (Schellerstab) mit einem an einer Gabel aufgsteckten Apfel in der rechten Hand.
Die Farbe des Roller-Scheller-Paares muss abgestimmt sein; Paare in roter, blauer und grüner Farbe sind erlaubt, je nach Färbung der Zierbänder und Maschen, des Ritterbandes und Schellertuches sowie des Seidentuches an der Rückseite des Kopfputzes der beiden.
Der überaus eigenartige, jedoch äußerst kunstvolle und elegante Tanz der Roller und Scheller im Rahmen des Schemenlaufens ist im Fachjargon als "Gangl" oder "Gangle" bekannt. Hierbei wendet sich zunächst der Roller seinem Scheller, dem er normalerweise voraustänzelt, zu, um ihn geneigten Hauptes "ouzpemsle" (anzupinseln, d.h. ihm mit dem Pemsl ins Gesicht zu wedeln) und somit ein Zeichen zum Gangle zu geben. Dann dreht er sich wieder um, macht zwei, drei rasche Schritte nach vor, hüpft in graziöser Manier je zweimal auf einem Bein, worauf er sich erneut seinem Partner zuwendet und einige sehr hohe Sprünge mit beiden Beinen vollführt, die Waden nach rückwärts hochschlagend. Nach einigen Sprüngen beendet der Roller das Gangle, indem er seinem Scheller abermals in die Maske pinselt, also "åpemslt" (abpinselt).
Nicht weniger kräfteraubend ist die Bewegung des Schellers beim Gangle. Er hat nach dem Oupemsle durch den Roller seine Wechselschritte und leichten Hüpfer durch gleichzeitige Bauch- und Schulterbewegungen zu begleiten, um sein schweres Gschall rhythmisch zum Läuten zu bringen. Kenner wissen natürlich, dass Klöpfen anders geschellt werden müssen als Kumpfen. Und wehe wenn der Scheller nicht alle "Klaffl" (= Schwengel der Schellen) sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite bis zum Anschlag nach oben bringt! Dann gilt er im Volksmund als "Busserant", als einer, der es nie "derlernt". Nur allzu genau sehen dies die Imster Zuschauer, die sich allesamt für Experten halten und es wohl auch wirklich sind.
Roller und Scheller faszinieren nicht nur die Zuschauer immer wieder aufs Neue, auch die Brauchtumsforscher sahen und sehen sich zu verschiedensten Deutungen dieser Masken und ihres Treibens angeregt.
In älteren Werken ist dabei die Theorie vom symbolischen Kampf zwischen dem scheidenden Winter und dem kommenden Frühling vorherrschend, den die Hauptmasken, ihr Tanz wie das Schemenlaufen insgesamt zum Ausdruck bringen sollen. Der Roller mit seiner jugendlichen fröhlichen Larve und seinen grazilen, leichtfüßigen Sprüngen sei als Sinnbild des herbeigesehnten Frühjahres anzusehen, während die eher griesgrämige, finstere Maske des Schellers und die dumpfen Klänge seines Geläuts an den (einst) ungeliebten Winter erinnert. Im Tanz besiegt der Roller den Scheller, so wie der Frühling alljährlich die kalte Jahreszeit überwindet.
Dem Zug der Roller und Scheller folgen "Laggeroller" und "Laggescheller", die "Laggepaarle" also. Sie ziehen die Eleganz und Würde der Ersteren durch ihr langsames, komisch-verzerrtes, aber höchst originelles Gehabe ins Lächerliche. Dies wird schon durch ihre Gewandung ausgedrückt, die ganz nach eigenem Ermessen zusammengestellt ist. Der Laggeroller, der – eigentlich ganz in Gegensatz zu seinem oft als junges Mädchen angesehenen "schianen" Vorbild! – einen alten Mann darstellt, weist eine verschmitzt lächelnde Larve mit Bärtchen auf. Seine Kleidung, deren wichtigste Bestandteile Kniebundhose, Hemd mit Weste oder Frack sowie Hut und Perücke sind, ist zuweilen mit aufgenähten Maiskörnern, weißen Bohnen und Kornähren prachtvoll verziert. Das fein klingende Gröll des Rollers findet seine "Entsprechung" durch eine breiten Gurt, der mit farbigen Nussschalen, "Tåtscheln" (Nadelbaumzapfen) oder Holzklötzen besetzt ist – auf Klänge wartet man hier vergeblich. Der Rollerpemsl weist zuweilen Kuh- oder Rosshaare auf.
Noch variantenreicher ist die Ausstattung des Laggeschellers, der, wiederum konträr zu seinem vornehmen Gegenstück, ein ältliches Weib mit tieffaltiger, mitunter böse grinsenden Larve verkörpert. Er trägt manchmal einen Wifling (Trachtenkittel), der manchmal durch einen Reifrock ersetzt wird, der aus Maisflitschen oder Stroh besteht. Oft ist auch der Hut mit Zierrat aus den soeben genannten Feldfrüchten bestückt, bisweilen nimmt der ganze Hutaufsatz die Form eines überdimensionalen Maiskolbens an. Das mächtige Gschall des Schellers wird durch die kleinen "Goaßschallelen" ((Ziegenschellen) des Laggeschellers geradezu verhöhnt; hin und wieder finden sich am Riemen gar nur Holzschellen. Am Schellerstab bildet eine Runkelrübe anstelle des Apfels den krönenden Abschluss, manchmal auch ein sogenannter "Hosenscheißer" (das ist ein verkümmerter Maiskolben).
Ein weiteres Kernstück des Imster Fasnachtsumzuges bilden die "Hexen" samt ihrer "Hexenmusik". Die Hexen des Schemenlaufens sind zunächst durch ihre äußerst hässliche, mit aus scheußlichen Warzen hervorwachsenden Schweinsborsten besetzte zweiteilige Maske ("Gschnapp" oder "Schnapplarve") gekennzeichnet.
Der "Kroas" (Kreis) der Roller und Scheller wird durch die Gruppe der "Ordnungsmasken" von allzu verwegenen Zuschauern freigehalten. Zu ihnen zählt man die "Sackner", die "Spritzer" und die "Kübelemajen".
Sie kommen ihrer Aufgabe mit einem ballonartigen, durch Maisflitschen oder Stroh gefüllten bunten Stoffsack nach, der einen Handgriff aufweist. Immer rechterhand getragen, wird damit das Publikum bearbeitet, wobei man aber Grobheiten und Schläge auf empfindliche Stellen nach Möglichkeit zu vermeiden trachtet.
Als zahlenmäßig stärkste Gruppe treten die "Wifligsackner" in Altimster Frauentracht auf. Die "Wiflig" werden in ihrer Tätigkeit von "Turesacknern" und "Bauresacknern" unterstützt.
Sie sorgen mit meterlangen Metallspritzen, die einen leichten, aber kalten Wasserstrahl von sich geben, dafür, dass der Weg freigehalten wird. Äußerst elegant, in barocker Bürgerkleidung mit samtenem oder tuchenem Frack, der an Kragen und Ärmeln mit Spritzen besetzt ist, einer Weste, einem weißen Hemd sowie einer Kniebundhose kommen die "Altfrankspritzer" daher, auffällig auch das Zopf- oder Noppenmuster auf ihren wollenen Strümpfen sowie die Messingschnallen an den schwarzen Laschenschuhen. Der Dreispitzhut mit drei Straußenfedern bildet den krönenden Abschluss dieser vornehmen Gestalt.
Etwas exotisch muten die "Mohrenspritzer" an. Als Gegenstück der Mohren gibt es die "Engelspritzer" in der Imster Fasnacht.
Sie stellt eine brave und zugleich lebendige, hübsche, junge Almsennerin dar, die in der linken Hand ein "Kübele" (kleiner Holzeimer) hält. Im "Kübele" befindet sich wohlriechender Puder; mit dem Tüchlein, das die Kübelmaje in der Rechten hält, taucht sie immer wieder in das kleine Holzeimerchen und erfüllt den Ordnungsdienst auf ihre Weise: Die Gesichter allzu neugieriger Zuseher werden eingestäubt. Besonders gut haften bleibt der Puder, wenn das betreffende Opfer zuvor einen Schuss Wasser von einem Spritzer abbekommen hat. Die Teamarbeit der beiden Ordnungsmasken funktioniert natürlich perfekt ...
Weitere Imster Fasnachtsfiguren und Gruppen sind: Bären und Bärentreiber, die Vogelhändler, die Kaminer (Ruaßler), die Labara, D’ Roufn’n-Kathl, die Stadtmusikkaplle.
Alle vier Jahre findet sie statt: ...
... die Imster Fasnacht ... 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, ...
Der Tag des Schemenlaufens, seit vielen Jahrzehnten ein Sonntag, beginnt zeitig am Morgen (6:30 Uhr) mit der "Fasnachtsmesse" zum Gedenken an die verstorbenen Fasnachtler. Die Imster Pfarrkirche ist da prallvoll mit Mannsbildern, einige von ihnen sieht der Dekan nur dieses eine Mal in vier Jahren ...
Nach der hl. Messe bewegt sich ein Zug von Maskierten, so wie einige Stunden später der gesamte Umzug, von der Oberstadt in die Unterstadt. Um halb zehn Uhr vormittags nimmt dann der Aufzug der Masken seinen Anfang. So mancher Imster Fasnachtler sieht im Aufzug den schönsten Teil der Imster Fasnacht.
Nun wartet alles auf den Beginn des eigentlichen Schemenlaufens, des "Umzuges". Es setzt nach dem letzten Glockenschlag des Zwölfuhrläutens der Imster Pfarrkirche ein. Die ständig steigende Teilnehmerzahl – bei der letzten Fasnacht waren es rund 800 Aktive, eine ansehnliche Zahl für ein Städtchen mit 7500 Einwohnern, wenn man bedenkt, dass nur Einheimische männlichen Geschlechtes mit einem grundsätzlichen Mindestalter von 16 Jahren beim Schemenlaufen mitwirken dürfen – stellt die Organisatoren vor nicht gerade kleine Probleme.
An bestimmten Stellen hält der Zug der Masken an, um Bürger und Prominente, alte Fasnachtler und solche, die bei Vorbereitungen mitgeholfen haben, "einzuführen": Ein Roller- und ein Schellerpaar kommt auf den Auserwählten zu, der Roller neigt sein Haupt vor ihm und pemselt ihn an. Der Scheller nimmt ihn (oder sie) am Arm und geleitet ihn zu Kasse, während der Roller voraustänzelt. Unterdessen vollführen die beiden für den Eingeführten ein Gangle. An der Kasse erhält er von eigens kostümierten Kassieren eine Breze und ein Abzeichen. Der Eingeführte, für den dieser Ritus eine große Ehre ist, bedankt sich mit einem Geldbetrag, dem "Obolus", und wird dann vom selben Roller- und Schellerpaar – wieder mit einem Gangle, versteht sich – an seinen Platz zurückgeführt.
Gegen fünf Uhr Abends, es beginnt schon zu dämmern, erreicht der Zug den Stadtplatz. Noch einmal überwinden die Maskierten ihre Müdigkeit, ein letzte Mal wird eingeführt, dann formiert man sich für den "Schlusskroas". Der Schlusskroas ist ein wahrhaft glanzvoller Abschluss des Imster Schemenlaufens. Dann wird es still, die Fasnachtler haben ihre Larven abzunehmen, wenn das Betläuten um 18 Uhr aus der nahen Kapuzinerkirche erklingt.
Wer die Imster kennt, weiß, dass nur ein Tag niemals ausreichen würde, um ihren Durst nach Fasnacht zu löschen. Am Montag nach dem Schemenlaufen ziehen die meisten Fasnachtler noch einmal in Kostümierung durch die Stadt, nur die Larve fehlt jetzt. Zwar steckt den Akteuren noch die Müdigkeit von den Anstrengungen des Vortages in den Knochen, man lässt sich jedoch nicht viel davon anmerken.
Um die Buben des Ortes dereinst zu richtigen Fasnachtlern zu machen, wird jeweils ein oder zwei Jahre vor dem "großen" Schemenlaufen eine Fasnacht der Kleinen, eine "Buabefåsnåcht" eben, abgehalten.
Das neu gestaltete Imster Museum nutzt moderne Technologien, um einen ursprünglichen, im Grunde archaischen Brauch in seiner Vielfalt zu zeigen. Filmprojektionen führen die Dynamik dieses Brauches vor. Ausschnitte aus Filmen aus den frühen 30er Jahren bis in die Gegenwart lassen den Besucher teilnehmen an der Bewegung, urtümlichen Kraft, dem Rhythmus, aber auch dem Geheimnisvollen des Maskenumzuges. Ausgeklügelte Diashows mit Fotos aus einem Zeitraum von hundert Jahren zeigen Geschichte und Gegenwart des Fasnachtstreibens, Ton- und Textcollagen geben Einblick in die Hintergründe und vielfältigen Vorbereitungen, wie das Schnitzen der Holzmasken und den Bau der Fasnachtswagen. Alte und neue Masken ergänzen die Ausstellung und dokumentieren beeindruckend die magische Faszination des Imster Schemenlaufens.
Sollten Sie an weiteren Informationen über diesen faszinierenden Umzug interessiert sein, so klicken Sie sich doch einfach auf die offizielle Webseite unter ... www.fasnacht.at.
Quelle: Buch "Die großen Fasnachten Tirols"